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Den Gardasee neu entdecken? Was unmöglich klingt, hat sich unser Serviceteam-Mitarbeiter Oliver Schulz vorgenommen. Gleich vorab: Es wird steil, nicht ganz ungefährlich, und ja, auch ein bisschen einsam.
Text & Fotos: Oliver Schulz
→Der Schmugglersteig – oder „Via dei Contrabbandieri“ – verläuft so spektakulär über dem Gardasee, dass sich nicht jeder Local dazu äußern möchte.
Am besten fragt man Angelo Seneci. Der passionierte Sportkletterer und Mitbegründer des Sportkletterwettkampfs „Rock Masters“ ist eine Institution in Arco. Er kennt sich aus in der Region um den Gardasee und ist einer der besten Ansprechpartner, den man für Tourentipps haben kann. Kommt das Gespräch allerdings auf die weniger touristisch erschlossenen Wege und Touren, beginnt er herumzudrucksen: „Der Schmugglersteig – Via dei Contrabbandieri – dazu sage ich nichts.” Seine Reaktion ähnelt der von anderen offiziellen Personen des Tourismusverbandes, zu denen auch er zählt.Seit der Gründung des Rock Masters, 1987 war das, Lynn Hill und Stefan Glowacz gewannen die Erstausgabe, hat sich in der Region viel verändert. Ich erinnere mich noch an das Arco, das wir, drei Jungs mit Kletterausrüstung und drei Mountainbikes (noch so eine Neuheit), damals nach einer spannenden Fahrt mit einem Renault R4 über den Brenner erfolgreich erreicht haben. In einer winzigen Touristen-Info in der Stadtmitte von Arco gab es Matrizenkopien von MTB-Routen und Klettergebieten. Infos zu Wandertouren und Klettersteigen? Gab es nicht, und ehrlich gesagt war uns das damals auch völlig schnuppe.Geht man nur nach solchen Eindrücken, hat das heutige Arco mit dem von 1987 nichts mehr zu tun. Heute residiert das Tourismusbüro des nördlichen Gardasees im mondänen Yachthafen von Riva. Natasha Bontandi und Stefania Oradini kennen keine Matritzenkopien mehr. Sie beschäftigen sich auch nicht nur mit Informationen für Kletter- und Bergsportcracks. Die Zahl der Touristen ist inzwischen exorbitant gestiegen. Im Norden des Sees sind darunter auch viele Wanderer (elf Prozent). Doch deren Anteil ist geringer als der von Mountainbikern (19 Prozent), E-Bikern oder Kletterern (18 Prozent), wie Natasha erzählt.
→Saugende Tiefe an nagelneuem Eisen: Die Ferratas in Valdastico, rund eine Stunde vom Gardasee entfernt.
An den verlängerten Wochenenden der Deutschen platzt die „Münchner Südstadt“ Arco regelrecht aus allen Nähten. Eine halbe Stunde Wartezeit an der beliebten Eisdiele auf dem Weg zum Campingplatz ist keine Seltenheit, ganz zu schweigen von den Menschenschlangen an den Einstiegen der begehrten Klettertouren.
„Dolce Outdoor“ im gesicherten Umfeld
Die massive Zunahme des Tourismus in der gesamten nördlichen Gardaseeregion erfordert Lenkungsmaßnahmen. „Wir erschließen jetzt mehr und mehr die Seitentäler“, erzählt Stefania. Konkret spricht sie über die Täler Valle di Ledro, Valle di Comano und Valle dei Laghi. Dort werden alte Hirtenwege freigesägt, vom Steig zum Wanderweg umgewandelt, mit Rastbänken bestückt und einheitlich markiert. Viele Freizeitsportler, so Stefania, kämen in die Region, um erste Outdoor Erfahrungen zu sammeln. „Für diese müssen wir eine kontrollierte Struktur schaffen, ein gesichertes Umfeld“, erklärt die Tourismusmanagerin. Sie selbst wohnt etwa einen Kilometer oberhalb des Ledrosees und liebt die (noch) völlig unbekannten Hirtenwege, auf denen sie privat so oft wie möglich geht, und die sie beruflich gerade dabei ist, zu erschließen.Und natürlich hat man sich am Gardasee schon seit Längerem auf den Zustrom alpin interessierter Touristen eingestellt. Um den Erhalt der besonders attraktiven Wege, Klettergebiete und Klettersteige kümmern sich bereits seit 2009 die Garda Rangers. Auch Angelo Seneci ist einer von sechs eigens angestellten Personen. Nicht umsonst nennt sich die Region des nördlichen Gardasees inzwischen „Outdoorpark“: Sie ist demnach kein wildes Gelände mehr, sondern ein geplantes Tourismusprodukt, oder wie es Natasha formuliert: „Dolce Outdoor“.
→Das (noch) eher unbekannte Valdastico lohnt sich auf der Anoder Abreise vom Gardasee für einen alpinen Abstecher.
Aber es geht auch am Gardasee noch „wild“ – wenn man will. Auch Geheimtipps gibt es noch, die wir natürlich nicht verraten, denn sobald er in einer Zeitschrift oder im Netz steht, ist es keiner mehr. Stattdessen seien hier drei eher wilde Wege unterschiedlicher Schwierigkeit genannt, die aus dem Tourismuskonzept des Gardasees derzeit noch herausfallen.Den Auftakt macht ein Steig von Tignale über dem Westufer hinab in die kleine Stadt Campione. Der Tipp für diese Tour stammt von Lucie, die mit ihrem Freund kurz vor dem Ausbruch der Coronapandemie ein Anwesen bei Tignale gekauft hat. Sie leben dort zusammen mit ihren Hühnern, Ziegen und Eseln und wollen künftig Ferienwohnungen vermieten, Klettertouren und Yoga anbieten.
Wir starten die Tour bei der Wallfahrtskirche Madonna di Monte Castello, die in Luftlinie zwar fast am Ufer liegt, aber eben 700 Höhenmeter über dem Wasserspiegel. Ein Aussichtsberg par excellence. Durch eine kühne, teils fast beklemmende Schlucht führt von der Hochebene ein Weg hinab nach Campione, der mindestens seit 1890 schon genutzt wird. Campione liegt auf einem Schwemmkegel und ragt in den Gardasee hinein. Früher gab es dort eine Baumwollweberei – heute ein Surfzentrum. Der Rückweg führt wieder durch die Schlucht und danach durch fast tropisch anmutende Bachtäler nach Ponale. Die Tour ist ein Muss für alle, die den Monte Cas, so die Kurzform des Monte Castello, schon vom nördlichen Ufer des Gardasees aus gesehen haben. Sie kann dank der kühlen Schlucht auch an heißen Sommertagen begangen werden, und ist auch für größere Kinder, die den Höhenmetern gewachsen sind, durchaus machbar.
Stahlseil als Wäscheleine
Um einiges anspruchsvoller ist die „Via dei Contrabbandieri“, ein kühner Weg in einer kompakten Felswand. Angelo Seneci wollte dazu nichts sagen, umso auskunftsfreudiger ist sein Kumpel Mauro Girardi. Er ist Bergführer und bietet mit seiner Agentur mmove auch geführte Touren auf dieser Route an. Der ehemalige Schmugglersteig führt am Westufer des Gardasees von der Straße nach Pregasina zum Surf Hotel unterhalb von Pregasina. Der teils in die Felsen geschlagene Weg verläuft dabei fast horizontal einige Hundert Meter über dem See. Laut Girardi brachten Schmuggler auf diesem bis zum Ersten Weltkrieg Kaffee, Tabak und Olivenöl von den italienischen Provinzen an das österreichische Nordende des Sees. Damals wie heute eine gewagte Route. Waren die Schmuggler noch gänzlich ohne Sicherung unterwegs, gibt es heute einige Sicherungshaken für eine eigene Absicherung mit Exen und Kletterseil; an ganz gewagten Stellen auch ein sehr, sehr dünnes Stahlseil. Gerade am berüchtigten Spreizschritt muss man Mut fassen und darauf vertrauen, dass es bisher noch immer gehalten hat.
→„Horizontale Mehrseillängentour“: Brentafeeling am Schmugglersteig mit Blick auf die Gardesana occidentale
Girardi spricht bei der „Via dei Contrabbandieri“ nicht umsonst von einer Mehrseillängentour, nur eben nicht vertikal, sondern horizontal. Girardi empfiehlt, die Strecke von Norden nach Süden zu gehen: „Die Aussicht ist spektakulärer und man geht den steilen Pfad am Ende nach Pregasina im Aufstieg, nicht im Abstieg“, so der Bergführer. Allerdings begeht man den Weg in dieser Richtung dann ständig absteigend, zudem im stark ausgesetzten Gelände, was auch psychisch eine Herausforderung sein kann.
Genau umgekehrt begeht man den wilden Weg Nummer drei, die Via del Congresso 92: Immer aufwärts und von Süd nach Nord führt die Klettertour im Nordwesten von Arco, die direkt auf den Monte Baone führt. Aus den Olivenhainen am Fuße des Berges startend, klettert man im zweiten Schwierigkeitsgrad luftig an der Kante des Berges entlang. Eine kurze und recht exponierte Stelle hat sogar den dritten Schwierigkeitsgrad. Mit genügend Können und Vorerfahrung kann man hier viel Vergnügen haben.Für die Hände gibt es gute Griffe, an den Füßen hoffentlich gute Sohlen und dazu das Vertrauen auf die Reibung. Auch diesen Weg geht Mauro Girardi für seine Bergschule häufig. Nach seiner Erinnerung wurde der Weg nach einem Kletterkongress 1992 im Trentino benannt. Einige Bereiche sind mit kurzen Seilen entschärft und an der abschüssigen Schlüsselstelle gäbe es sogar Haken, an denen wir zu Hause eher ein Geschirrtuch aufhängen würden, mehr allerdings nicht.
Oben wartet zum Abschluss ein interessantes Gipfelkreuz in Form eines aus alten Fahrzeugteilen zusammengeschweißten Jesus. Der Abstieg nach Arco zieht sich allerdings: Da könnte der Outdoorpark Gardasee noch aufrüsten und ein paar Eisdielen platzieren. Aber wir wollen es ja wild.
→Auf den Monte Baone führt mit der „Via del Congresso 92“ eine leichte, aber ausgesetzte Kletterei in herrlich rauem Kalk.
Zum Abschluss doch noch zwei Geheimtipps: Die Klettersteige bei San Pietro di Valdastico liegen nur eine gute Stunde von Riva entfernt und sind im Vergleich zu denen rund um den Gardasee noch eher unbekannt. Bei der An- oder Abreise zum Gardasee bietet sich ein Abstecher dorthin an. Und im Valle Comano, nördlich von Riva, kommen Klettersportler und Genussurlauber gleichermaßen auf ihre Kosten: Das Restaurant „Maso Limaro“ liegt nahe einem neuen Klettergebiet und bietet exzellentes Essen an. Es wird eigenes Brot gebacken und die Zutaten für den Belag kann man von der schattigen Terrasse aus beobachten. Etwas unterhalb des Restaurants grasen und wachsen Tiereund Pflanzen, die bald auf dem Teller liegen werden.
Seit knapp 40 Jahren ist Oliver Schulz, Mitarbeiter der Sektion Oberland, rund um den Lago di Benaco unterwegs, als Veranstaltungsleiter von Kletter- und Klettersteigkursen oder mit seiner Familie. Bei ihr gilt er als der erfolgloseste Forellenfischer am Ledrosee aller Zeiten. Wer vor dem Urlaub am Gardasee noch Geheimtipps braucht, findet Oliver in der Servicestelle im Globetrotter.
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