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Knöcheltiefer Schnee ist ein guter Anlass, um das Gleitzeit-Konto zu plündern. Ein Loipen-Streifzug durch Karwendel, Chiemgau & Co. – klassisch laufend, aktiv skatend und gemütlich cruisend.
Text: Andrea Strauß, Fotos: Andreas Strauß
→Der Große Ahornboden bietet eines der besten Panoramen für einen Tag auf Langlaufski.
Ein feines Surren begleitet die Bewegung der Ski in der Loipe. Ich versuche, so leicht zu atmen, dass ich das Surren immer noch höre. Abdruck, Gleiten, Abdruck, Gleiten. Schön langsam, um den eigenen Rhythmus zu finden. Auch wenn die Loipe bereits in der Sonne liegt, ist es noch eisig kalt. Ich rede mir ein, dass ich nicht friere, aber die Nase und die Fingerspitzen sind von meinen Gedanken nicht überzeugt. Die ersten Minuten sind anstrengend, man muss erst einmal warm werden und die Muskeln müssen sich an den Bewegungsablauf gewöhnen. Beim Langlaufen sollen es besonders viele Muskeln sein, die beteiligt sind. Sportmediziner sprechen von 90 Prozent des Muskelapparats und loben die geringe Belastung dieser Sportart für die Gelenke, die Vorteile für den Kreislauf und sogar die Psyche.
„Langläufer leben länger“ – damit versuchte man einst, das Langlaufen als Breitensport populär zu machen. Zusammen mit der preisgünstigeren Ausrüstung im Vergleich zum Alpinskifahren (inzwischen auch zum Skitourengehen) und der Tatsache, dass man fast überall laufen kann – ausreichend Schnee vorausgesetzt –, bietet Langlaufen eindeutige Vorteile. Ob man begeisterter Langläufer wird, hängt aber wohl viel eher davon ab, ob einem die Bewegung gefällt. Zumindest jeder Fünfte in Deutschland beantwortet diese Frage mit „ja“ und zählt sich zu den Langläufern.
Abdruck, Gleiten, Abdruck, Gleiten. Ich bin im Rhythmus. Was mir eben noch anstrengend vorkam, geht jetzt mühelos. Sogar die Fingerspitzen werden allmählich warm. Meine Aufmerksamkeit geht weg vom Bewegungsablauf und der Temperatur, ich nehme die Landschaft wahr. Wie wellig die Schneefläche hier ist! Am Südhang haben die Bäume schon kaum mehr Schneeauflage, sie sind schon ganz grün. Da hinten, welcher Gipfel ist das doch gleich? Waren wir da nicht mal mit Peter? Für ein paar Momente erlaube ich den Gedanken, in die Vergangenheit zurückzuwandern und schöne Erinnerungen zu besuchen.
→Auf den Loipen bei Krün geht es über Wiesen und zum zugefrorenen Barmsee.
Dann biegt die Loipe zum Bach hin ab und die glitzernden Raureifkristalle, die an den Erlen hängen, bringen mich zurück ins Jetzt. Wie wunderschön sieht das aus! Und wie vergänglich. Im Lauf des Tages wird die Sonne einen Striptease mit den Erlen machen. Bis wir zurücklaufen, sind sie vermutlich komplett „nackt“. Aber morgen Früh haben sich die Kristalle vielleicht wieder neu gebildet.
Angenehm k.o.
Wäre meine persönliche Meinung die Basis für die Umfrage „Warum Langlaufen?“, dann würde das Landschaftserlebnis ganz weit oben stehen. Glitzernde Raureifkristalle sind für mich ein Wunder der Natur und begeistern mich jedes Mal aufs Neue. Das langsame Zubodenschweben großer Schneeflocken – kann es etwas Beruhigenderes geben? Der bizarr geformte Anraum an den hellgrauen Buchenstämmen auf meiner Lieblingsstrecke; der Fuchs, der vor mir die Spur quert und einen Moment später vom Fichtendickicht verschluckt ist; die genau einen Meter hohe Nebelbank über den Wiesen, die alle Läufer, die noch auf der Strecke sind, von der Taille abwärts verschluckt.
Sogar das Schreckgespenst aller Wintersportler kann auf der Loipe schön sein: Nieselregen. Am späten Nachmittag hatte es im Leitzachtal begonnen leicht zu regnen. „Hört gleich wieder auf“, hatten wir uns gesagt. „Sind nur ein paar Spritzer“, hatten wir uns in der zweiten Runde eingeredet. „Jetzt is‘ eh scho wurscht“, hatten wir in der dritten Runde festgestellt.
Und tatsächlich hatte sich der warme Regen im Gesicht ganz angenehm angefühlt. „Und duscht is‘ a scho.“ Damit hatten wir die Ski am Abend zusammengepackt, wohlig warmgelaufen, angenehm k. o., sehr nass und sehr glücklich.
→Offiziell heißt die Route in die Eng „Karwendelloipe“.
Landschaftlich schöne Loipen gibt es rund um München viele. Eigentlich hat jede ihre besonderen Blicke und ihre charakteristischen Stellen, ob es nun die Bauernwiesen vor Kreuth sind oder die Strecke an der Weißach entlang Richtung Achenpass, ob man die freien Blicke in der Jachenau genießt, bei Klais aufs verschneite Wettersteingebirge schaut oder bei Krün zum Barmsee läuft, ob man an der Leitzach entlang cruist, das Kloster Reutberg bei Sachsenkam besucht, rund um Lenggries seine Runden zieht oder – bei günstiger Wohnlage – von zu Hause aus über die Wiesen oder durch den Wald läuft. „Wenn das Wetter mitspielt, werden in Münchner Parks Loipen gespurt“, verspricht sogar die Landeshauptstadt. Dann kann man auch im Ostpark, im Westpark und in den Isarauen laufen. Dass das nicht jeden Winter vorkommt, ist leider so.
Auch das Tempo auf Langlaufski erlaubt es, die Landschaft wahrzunehmen. Wer klassisch läuft, kommt als Freizeitläufer auf rund zehn Stundenkilometer, beim Skating auf 15 Stundenkilometer oder mehr. Da ist ein bewusster Blick rundum gut möglich. Rennläufer liegen bei 30 Stundenkilometern und darüber. Für seinen Geschwindigkeitsrekord auf Langlaufski hat sich der Tscheche Radek Cermak eine Skipiste ausgesucht und lange trainiert. Die Schönheit der Landschaft dürfte er dabei kurzfristig ausgeblendet haben, bei 156 Stundenkilometern.
Aber das Schöne am Langlaufen ist es gerade, dass man jede beliebige Geschwindigkeit laufen kann. Mit kleinen Kindern, im fortgeschrittenen Alter oder nach der Erkältung kann man so sacht und vorsichtig laufen, dass man kaum etwas falsch machen kann. Anders als beim Radfahren fällt man nicht einmal dann um, wenn man sich überhaupt nicht mehr vorwärtsbewegt. Aus Rücksicht auf die anderen Langläufer sollte man dann allerdings einen Schritt aus der Loipe gehen.
→Perfekt gepflegt und die Wettersteinkette im Rücken – Langlaufen bei Krün.
Jede Loipe ist perfekt
Gleichzeitig kann man sich sowohl klassischwie beim Skaten innerhalb von kurzer Zeit wunderbar auspowern. Ein paar Minuten lässt man mit moderater Geschwindigkeit verstreichen, danach kann man losfetzen, was Herz, Lunge und Muskeln hergeben. Je sauberer dabei die Lauftechnik ist, desto mehr Spaß macht es.
Abdruck, Gleiten, Abdruck, Gleiten. Ich versuche wieder in meinen Rhythmus zu kommen. Hat sich die richtige Balance eingestellt zwischen Bewegung und Geschwindigkeit, dann werde ich schwerelos. Fliegen stelle ich mir genauso vor. Glücksforscher sprechen vom „Flow“ und versprechen, dass Flow glücklich macht. „Und Recht haben sie!“, denke ich mir. An guten Tagen können ein paar Kilometer einfach so dahinfließen. Ich denke an nichts mehr, kenne keine Vergangenheit und keine Zukunft, bin nur noch Bewegung. Landschaft ist herrlich, Flow noch besser.
Freilich gibt es irgendwann den kleinen Schneekobold, der versucht, meinen Stockteller festzuhalten, und der mich so aus dem Laufrhythmus bringt. Oder die Brille beschlägt. Oder die Nase läuft. Oder ich bekomme Hunger. Oder ich muss schnell ein Foto machen, weil der Moment einfach zu schön ist. Das macht nichts, bald ist der Rhythmus wieder gefunden.
Die perfekte Loipe im Münchner Umland? Jede ist perfekt: Die nächstgelegene, weil man dann am schnellsten und am umweltschonendsten auf den Ski steht. Die flache, weil man da am leichtesten in seinen Rhythmus kommt. Die wellige, weil es kein besseres Intervalltraining gibt als auf Ski rauf und wieder runter. Die am Bach entlang wegen des Raureifs. Die lange, weil ich so für ein paar Stunden nach Skandinavien komme, ohne hinfahren zu müssen. Die in der Eng, weil sie einmal im Jahr das besondere Erlebnis ist und die wunderschöne Landschaft des Rissbachtals und des Großen Ahornbodens mit einem tollen Sporttag verbindet.
→Im Hochwinter sind die Sonnenstrahlen kostbar! An den Haglhütten
Und dann ist da noch jene Loipe, auf der ich mir als Kind geschworen hatte: Langlaufen – nie wieder. Auf falsch gewachsten Ski hatte ich mich über die Loipe gequält und nicht einmal mehr ausreichend Atem gehabt, um meinem Ärger Luft zu machen. „Nie mehr!“ war mein Versprechen an mich selbst gewesen.
Aber zum großen Wachskoffer mit den vielen Möglichkeiten, das falsche Wachs zu erwischen, gibt es seit Langem schon gute Alternativen. Und um das nicht eingehaltene Versprechen an mich selbst bin ich froh. „Langlaufen – jederzeit wieder!“ würde ich mir heute versprechen.
Andrea Strauß läuft am liebsten gleich im Nachbarort und natürlich am Bach entlang – der Raureif! Aber ab und zu muss es eine der richtig langen Rennstrecken sein, ob Birkebeiner oder Rucksacklauf.
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