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Der Bayerische Wald hat mehr als nur Bäume: den Arber, den Rachel und unzählige weitere Eintausender, den Nationalpark, noch richtige Winter mit viel Schnee – und von München aus ist er nicht weiter weg als das Stubaital. Auf in den „Woid“!
Text: Andrea Strauß, Fotos: Andreas Strauß
→Wimmelbild Bayerischer Wald: alle Wintersportarten vereint am Großen Arber
Während wir vom Rachel absteigen, fällt mir s‘Peterle ein. S‘Peterle war schon Mamas Lieblingspuppe gewesen, später wurde sie meine. S‘Peterle wurde geliebt wie sonst keiner. Weshalb ich am Großen Rachel ans Peterle denken muss? Wir waren von Oberfrauenau aufgestiegen, auf dem Rachelsteig durch den Hochwald gegangen, nach etwa einer Stunde wieder auf die Forststraße gewechselt, hatten zuletzt recht flach den Sattel westlich unter dem Kleinen Rachel erreicht und endlich etwas Höhe gewonnen. Auf 1300 Metern biegt der Wanderweg nach Südosten ein. Was der Borkenkäfer vom Wald übriggelassen hat, bedeckt noch immer die Flanke. Die Fichten sind fast alle auf fünf bis zehn Metern Höhe abgebrochen, ihre kahlen Stämme ragen in den Himmel wie mahnende Finger. Eine Geisterstadt aus Totholz – sehenswert. Die flache Rachelwiese war metertief im Schnee gelegen, dann waren wir auf einer alten Fußspur Richtung Waldschmidthaus gequert. Die historische Berghütte, benannt nach dem bayerischen Heimatdichter und Woidliebhaber Maximilian Schmidt, ist derzeit geschlossen und wird im besten Fall in ein paar Jahren fertig renoviert sein.
Die letzten Minuten waren wir auf dem Weg von Süden zum Gipfel gestapft. Jenseits des kleinen Sattels hatten wir uns an der geschlossenen Bergwachthütte auf die Rucksäcke gesetzt, mit dem Rücken ans warme Holz gelehnt und den vergangenen Tagen im Bayerischen Wald nachsinniert. Erst nach der Pause waren wir die letzten Meter zum Kreuz gegangen.
→Gespenstisch und doch schön: der Wald am Großen Rachel
Zum Liebhaben
Nach ästhetischen oder sportlichen Gesichtspunkten ist es für alpenverwöhnte Bergmenschen schwer, die Vorzüge der Racheltour zu benennen. Trotzdem hat er etwas, der Große Rachel. Im Abstieg kommt uns ein Grüppchen Tourengeher entgegen. Freudestrahlend, redselig, voller Liebe zum höchsten Gipfel im Nationalparkgebiet und dem zweithöchsten im „Woid“. Wo sie auf dem Weg ins Tal mehr als zwei Schwünge aneinanderreihen wollen – ich weiß es nicht. Und so muss ich ans Peterle denken: Nicht superperfekt, aber zum Liebhaben. Ein bisschen wie der Rachel, und wie so viele andere Gipfel im Bayerischen Wald. Keine Rekorde, aber immer für positive Überraschungen gut.191 Mal erreicht dieses alte Mittelgebirge die 1000er-Marke. Das ist eine großzügige Zählung, andere kommen auf 149, 92 oder nur 80 Berge. Wer im Woid ein Diskussionsthema sucht, ist mit der korrekten Zahl der 1000er gut bedient. So ist das mit vergleichsweise alten Gebirgen: Während ein geologischer Youngster wie die Alpen (135 Millionen Jahre) bis auf 4807 Meter hinaufreicht, ist im Bayerischen Wald (500 Millionen Jahre) auf 1456 Metern, am Großen Arber, Schluss. Nicht nur Oma und Opa werden im Alter wieder kleiner, Gebirge auch.
Höflicher Kampf um die letzten Sitzplätze
„Ungetrübt sonnig mit guter Fernsicht in den Bergen.“ So hatte der Wetterbericht für den ersten Tag im Bayerischen Wald gelautet. Wir waren noch neu, und daher in einem Gewissenskonflikt: Wertvolle Sonnenstunden zwischen Fichtendunkel und Tannenbart vertun? Wir würden stattdessen gleich mit dem höchsten Gipfel beginnen, denn vom Arber hat man einen freien Blick vom Hochschwab über den Dachstein und die Berchtesgadener zu den Hohen Tauern, zum Kaiser, den Zillertalern, dem Karwendel und zur Zugspitze.
→Vom Arber hat man einen fantastischen Blick in die Alpen, auch zum Dachstein. Aber das Beste ist das lange noch nicht.
Wege auf den Arber gibt es viele, auch im Winter. Und es gibt viele Methoden, den Gipfel zu erreichen. Am Gipfelplateau sehen wir an diesem Tag Winterwanderer mit und ohne Schneeschuhe, mit und ohne Profilsohle, Tourengeher mit 50-Liter-Rucksäcken und mit Camelbak, Alpinskifahrer, Langläufer, Mountainbiker und einen Schulausflug.Mit Start in Bodenmais entscheidet man sich für den längsten Weg. Etwa 800 Höhenmeter strecken sich auf sieben Kilometer. Bis hinauf zum Mittagsplatzl (1340 m) bleibt die Route im Wald. Nein, langweilig ist das nicht. Anfangs geht es hoch über dem Riesbach dahin, an den vereisten Rieslochfällen vorbei, über die Loipe, später durch Hochwald mit eisverkleisterten Fichten- und Tannenstämmen und durch einen Graben zum Seestein. Wir machen einen Abstecher zum Mittagsplatzl mit seinem Gipfelkreuz, steigen dann über den Südhang zum Arber auf.
Die Fernsicht wird immer besser, der Anraum an den Felsen immer bizarrer. Am Gipfelplateau sind wir wirklich nicht die Einzigen, aber die Stimmung ist klasse: Man grüßt, man lächelt, man hilft sich über die eisige Stelle hinauf und hinunter. Sogar, als es um die letzten Sitzplätze geht, um sein Bier nicht im Stehen trinken zu müssen, bleibt Höflichkeit Trumpf. Zweimal nämlich kann man auf dem Großen und Kleinen Arber einkehren: am Arberschutzhaus und an der Chamer Hütte. Als wir nach einem ganzen Tag draußen zurück in Bodenmais sind, resümieren wir: Fernsicht: toll, Wald: noch besser, die Woidler: einmalig. Unsere Angst, einen Schönwettertag mit zu viel Wald und zu wenig Sicht zu „vertun“, ist verpufft.
→Ein Besuch bei den Luchsen im Tierfreigehege Falkenstein lohnt sich immer.
Gipfelsammeln am Kaitersberg
Zusätzlich zu den 191 Eintausendern und den zahllosen niedrigeren Bergen gibt es im Bayerischen Wald viel zu unternehmen. Die Wanderung von Klingenbrunn an der Flanitz entlang ist genauso lang wie manch Gipfeltour, am Luchsgehege in Falkenstein verbringen wir so viel Zeit wie beim Rachelaufstieg, und wer auch noch die Langlaufski mitnimmt, wird bleiben wollen bis zur Maidult. Während im Nationalpark im Winter die Talwanderungen und Themenwege dominieren, werden außerhalb auch die Gipfel rege besucht.„Bis spada“, verabschiedet sich am Parkplatz von Eck ein Einheimischer, der auch gerade den Rucksack schultert. Unser gemeinsames Ziel ist bereits abgeklärt: die Kötztinger Hütte. „Heint hots offn.“ Die Öffnungszeiten der Hütten zu kennen, gehört zwischen Regensburg und Freyung zur Allgemeinbildung. Recht so, denn im Bayerischen Wald wird gern und vor allem gut gegessen. Um ausreichend Kalorienverbrauch zu garantieren, beginnt die Wanderung in Eck und folgt dem Höhenzug des Kaitersbergs. Vier Gipfel – alles Eintausender – werden wir besteigen bis zur Kötztinger Hütte. Sollten wir von dort noch weiterwandern, sind zwei zusätzliche in kurzer Entfernung erreichbar.Die ersten Minuten auf der Forststraße lassen sich gut gehen, selbst ohne Schneeschuhe. Aber wie wird es später aussehen? Nach den Wanderungen der letzten Tage, die alle auf gut ausgetretenen Wegen verliefen, wollten wir heute die Schneeschuhe nicht mehr umsonst mittragen. Geht die Rechnung auf?Bis zur hölzernen Riedelstein-Kapelle auf jeden Fall. Oben, wo wir von der Forststraße abbiegen, bekommt unser Optimismus einen kleinen Dämpfer. Aber umdrehen wollen wir auch nicht mehr. Erst mal biegen wir links ab und steigen auf den Kleinen Riedelstein. Der Felsgupf ist von Norden leicht zu besteigen. Weil er nach Süden abbricht, versperrt kein Baum den Blick. Der einzige Baum, der doch vielleicht ein klein wenig im Panorama steht, der ist noch immer so liebevoll mit Christbaumschmuck dekoriert, dass man schmunzeln muss.
→Im Sommer kann man an den Rauchröhren klettern, im Winter liegen sie dick unter Schnee.
Der zweite Gipfel im langen Kamm ist der Große Riedelstein, wie sein kleiner Namensvetter ein felsiger Gupf im Waldrücken. Die Aussicht ist prächtig und der Wind bläst wie auf einem mindestens viermal so hohen Berg. Das Waldschmidtdenkmal, das hier oben steht, hätte ruhig massiger ausfallen können, für besseren Windschutz. Wir machen uns bald an den Weiterweg und folgen den frischen Spuren unseres Vorgängers. Bis zu den Rauchröhren haben wir die Führung übernommen und dürfen entsprechend durch hüfthohen Schnee auf den dritten Gipfel hinaufspuren. Im Sommer ist der Normalweg wahrscheinlich einfach, jetzt, mit so viel unverfestigtem Pulverschnee auf den Felsblöcken und -platten, wird es ein vorsichtiges „Hinaufschleichen“, zumal wir ein paar Standhaken sehen und später nachlesen, dass die Klettertouren an den beiden 30 Meter hohen Türmen klein, aber fein sind. Hier zeigt der Woid seine Zähne.
Immer tiefer wird der Schnee. Umkehren aber ist kein Thema: blauer Himmel, schöne Blicke hinunter Richtung Bad Kötzting und die Aussicht auf ein zünftiges Wirtshaus. Ein letzter Gipfel namens Steinbühler Gesenke, ein Gratstück, ein kurzer Abstieg und wir stehen „am Stachus“. So viele Winterwanderer steigen von Hudlach im Norden zur Hütte auf, dass man Angst haben muss, ob sie uns nicht das Bier komplett wegtrinken und das letzte Jägerschnitzel aufessen.Aber obwohl wir erst noch auf Mittagsstein und Kreuzfelsen steigen, ist unsere Sorge unbegründet. Das erste Urteil bleibt: Fernsicht: toll, Wald: noch besser, die Woidler: einmalig.
Andrea Strauß hat sich gefragt, warum sie nicht längst schon den Winter im Bayerischen Wald entdeckt hat: Winterwald, schöne Wege, perfekte Loipen und entspannte Stimmung.
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